Karawane der weißen LKW auf Autobahn
05.07.2019 | Olaf Thiel

Toll Collect Dialog: Fahrermangel, Mautsysteme und Zukunftspläne

Dr. Gerhard Schulz, Vorsitzender der Geschäftsführung von Toll Collect und Prof. Dr. Dirk Engelhardt, Vorstandssprecher des Bundesverbandes Güterverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) sind im Dialog. Sie sprechen darüber, was die Transportbranche bewegt: der gravierende Fahrermangel, die technischen Entwicklungen und die Zukunft der Branche.
Das gesamte Gespräch steht im Video zur Verfügung. Der Blogbeitrag zeigt einige Ausschnitte.

Dr. Gerhard Schulz über Digitalisierung im Mautsystem

„Das Mautsystem in Deutschland ist zu 100 Prozent digital. Können Sie sich da ganz entspannt zurücklehnen beim Thema Digitalisierung?“

„So ganz einfach ist es nicht. Toll Collect hat eines der weltweit modernsten satellitengestützten Mautsysteme, aber die Digitalisierung ist für uns natürlich auch eine Herausforderung – wie für die gesamte Verkehrsbranche. Zum einen müssen wir schauen, wie wir gegenüber dem Kunden noch digitaler werden können. Der Kunde, der Fahrer, muss die Maut bezahlen und wir versuchen ihm das Leben so leicht wie möglich zu machen. […] Das heißt auf der einen Seite, die Kunden im Blick haben und auf der anderen Seite die Frage, wie wird Maut zukünftig erhoben. Die Frage ist, haben wir künftig eine On-Board-Unit? Wir haben heute viele andere Bezahlsysteme, wir haben den e-Call, wir haben künftig den digitalen Tachographen, wir haben elektronische Frachtbriefe, wir haben künftig 5G… Die Frage ist also, wie wird künftig Maut erhoben? Mit einem Fahrzeuggerät oder auf andere Art und Weise? Diesen Fragen muss sich Toll Collect stellen und das tun wir auch.“

„Bedeutet das, dass Systeme, die auf Infrastruktur an der Straße setzen, zu einem Ende kommen?“

„Aus meiner Sicht schon. Es gibt immer mehr Staaten in Europa und in der Welt, die auf satellitengestützte Systeme gehen. Denn heutzutage ist eine Schranke auf der Straße wirklich altbacken – es geht so eigentlich nicht mehr. Sondern wir müssen sehen, dass wir eine Maut haben, mit der wir weiterhin einen freien Verkehrsfluss haben. Diese Systeme, die immer mehr in Europa und in der Welt implementiert werden, müssen miteinander kommunizieren können. Wir haben ein sehr gutes Beispiel mit Österreich, mit der Asfinag: Toll2Go. 150.000 Fahrzeuge können in Österreich mit der deutschen OBU Maut bezahlen. Das Prinzip, es dem Kunden leichter zu machen – auch mit anderen Staaten – ist die Zukunft und da müssen wir hin“

Prof. Dr. Dirk Engelhardt über Fahrermangel

„Die Logistikbranche hat große Schwierigkeiten, Personal zu finden, vor allem Fahrer. Welche Maßnahmen gibt es bereits in Ihrer Branche? Helfen dabei Image-Kampagnen wie Ihre Kampagne PROFI?“

Prof. Engelhardt spricht über Fahrermangel und die Zukunft der Transportbranche

Prof. Dr. Dirk Engelhardt ist Vorstandssprecher des Bundesverbandes Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung

„Zuallererst ist der Fahrermangel wirklich eklatant. Nach aktuellen Schätzungen fehlen uns bis zu 60.000 Fahrer akut. Jedes Jahr werden es 15.000 mehr, die derzeit nicht durch Fahrer aus Osteuropa kompensiert werden. Eine Image-Kampagne alleine wird das Problem nicht lösen – da gibt es viele Stellschrauben, an denen gedreht werden muss. Zum einen muss das Image des Berufs erhöht werden, zum anderen muss sich auch das Verhalten gegenüber den Fahrern ändern. Die Wertschätzung muss sich erhöhen. Wir brauchen andere Fahrerhäuser, die den Fahrern mehr Autarkie auf den Parkplätzen bieten. Genauso brauchen wir einen höheren Frauenanteil, der aktuell bei 1,7 Prozent ist und ein vernünftiges Einwanderungsgesetz. Es ist also einen Mix aus verschiedenen Maßnahmen. Ob das ausreicht, den drohenden Versorgungskollaps zu vermeiden, wird die Zukunft zeigen.“

„Wird denn sowas wie Platooning Abhilfe schaffen?“

„Die Fahrer sträuben sich überhaupt nicht gegen digitale Lösungen. Das Fatale ist, dass Leute, die vom autonomen Fahren reden, suggerieren, dass wir in Zukunft keine Fahrer mehr benötigen. Genau das Gegenteil davon wird der Fall sein. Zukünftig wird der Fahrer der Transportmanager sein, der andere und vielseitigere Aufgaben wahrnehmen muss. Da braucht man ein Umdenken – sowohl in der Industrie als auch in der Öffentlichkeit. Das ist und bleibt ein Beruf der Zukunft und die Digitalisierung kann dabei helfen. Also ja, es kann Abhilfe schaffen, wird aber den Fahrer nicht ersetzen.“

Dr. Gerhard Schulz über Fahrermangel

„Toll Collect kennt die Fahrer, denn sie sind die Kunden des Mautbetreibers. Was kann Toll Collect tun, um bei solchen Initiativen zu helfen und das Thema Fahrermangel anzugehen?“

Dr. Gerhard Schulz ist der Vorsitzende der Geschäftsführung der Toll Collect GmbH

„Es kommt ganz stark darauf an, dass wir den Fahrern die Wertschätzung gegenüber deutlich machen, die sie verdienen. Der Fahrerberuf ist ein guter Beruf, ein anstrengender Beruf, wir brauchen den Fahrer. Das muss man dem Fahrer auch gegenüber deutlich machen. Deswegen ist er für uns auch Kunde und nicht nur jemand, der seine Gebühr bezahlen muss. Sondern wir sagen, er ist unser Kunde und wir müssen ihm das Leben leicht machen. Diese Wertschätzung muss nicht nur Toll Collect, sondern die gesamte Gesellschaft dem Fahrer gegenüber deutlich machen. Wir müssen den Beruf wieder attraktiv machen.“

Dr. Gerhard Schulz über die Zukunft der Maut

„Was kann ein Mautsystem, wie wir es haben, in Zukunft für Logistik und Mobilität von Waren leisten?“

„Zunächst einmal wird Maut auf Dauer die Verkehrsinfrastrukturfinanzierung sicherstellen. 7,5 Milliarden Euro pro Jahr, 60 Milliarden insgesamt in den vergangen 14 Jahren. Darüber hinaus müssen wir überlegen, was kann das System in Zukunft möglicherweise noch leisten? Wir müssen überlegen, was wir mit vorhandenen Daten machen könnten. Beispielsweise kann der Fahrer Informationen bekommen, wo der nächste freie Parkplatz ist. Wir haben eine Menge Daten im System. Wir wissen, es gibt ein strenges Datenschutzrecht. Aber die Fragte ist, ob der Bund nicht mit den Daten noch mehr machen könnte, als er derzeit macht. […] Ich denke, wir können einen großen Schritt dazu beitragen, Verkehr künftig besser zu gestalten.“

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