05.03.2014 | Redaktion Blog

Die 16 Leben einer OBU

Sie sind klein, hochmodern und hart im Nehmen. Die On-Board Units zur automatischen Mauterhebung via Satellit halten lange und werden wenn nötig wiederbelebt. Genau genommen haben sie sogar 16 Leben, mehr verbietet das System.

Die drei liegen in einer feuchten Wiese und rühren sich nicht, obwohl das Motorengeräusch immer näher kommt. Die Batterie versorgt nur noch ihren Krypto-Chip, die anderen Module sind aus. In einer Nacht vor drei Monaten sind sie hier unsanft gelandet, nachdem man sie aus der Werkstatt nebenan gestohlen hat. Die Einbrecher hatten wohl erkannt, dass die drei keine Autoradios sind. Dann kamen Regen und Kälte, und jetzt der Rasenmäher. Als das Schneidwerk sie erfasst, poltert es laut und der Fahrer hält an. Er entdeckt die drei Geräte und bringt sie in die Lkw-Werkstatt. Die Monteure wissen sofort, was der Gärtner da überfahren hat.

Die On-Board Unit, kurz OBU genannt, erleichtert die Mautabrechnung und wird deshalb von den Transportunternehmern sehr geschätzt. Mehr als 90 Prozent der Mautumsätze in Deutschland werden mithilfe der OBU automatisch ermittelt. Sie erkennt selbstständig über GPS-Signale, ob der Lkw auf einer mautpflichtigen oder mautfreien Straße unterwegs ist. Im ersten Fall speichert sie die gefahrenen Kilometer im Krypto-Chip und schickt die sich daraus ergebenden Mautbeträge verschlüsselt an Toll Collect, wo eine Abrechnung erstellt wird. Lkw-Fahrer oder Spediteure müssen dabei gar nichts machen, das erledigt der Mautbetreiber für ihn – vorausgesetzt, die Geräte sind eingebaut und liegen nicht halbtot auf einer Wiese.

Gestohlen, geschunden und wiedergefunden

Toll CollectDie Monteure in der Lkw-Werkstatt, die als Servicepartner von Toll Collect auch OBUs ein- und ausbauen, lassen die drei lädierten Geräte erst einmal trocknen, schließen sie dann an ihre Service-PC an und – sie funktionieren einwandfrei. Also kommen sie in die OBU-Werkstatt, wo man die vom Rasenmäher zerkratzten Teile austauscht. Danach sehen sie wieder wie neu aus und stehen bereit für ihren nächsten Einsatz. Diesen Kreislauf hat Toll Collect aus ökologischen und ökonomischen Gründen geschaffen. Die meisten OBUs waren schon einmal beim sogenannten Refurbishment und wurden danach wieder in Laster eingebaut, selbst eine, die drei Jahre lang als vermisst galt. Entdeckt hat man Sie in der Oberpfalz.

Steffen Draheim besuchte gerade die Servicepartner-Werkstatt in Weiden an der A93, als ein Mitarbeiter der Autobahnmeisterei hereinkam, in der Hand eine völlig verdreckte OBU mit abgerissenen Kabeln. Diesen Anblick konnte Draheim, der Servicepartner von Rügen bis Regensburg  betreut, nicht klaglos hinnehmen: „Mit der kann man aber auch pfleglicher umgehen“, sprach er den verdutzten Mann an, der seine orange Arbeitskluft bereits abgelegt hatte, „und sie vor allem sorgfältiger ausbauen.“ Doch der Arbeiter hatte die OBU gar nicht ausgebaut, sondern am Autobahnrand gefunden. Jetzt wollte er sie dem Servicepartner übergeben. Wie sich herausstellte, stammte sie aus einem Lkw, der vor drei Jahren gestohlenen worden war. Seitdem lag die OBU am Autobahnrand und so sah sie auch aus. Doch jetzt durfte sie zum Refurbishment wo man sie sozusagen wiederbelebt hat, um weiter ihren Dienst zu tun. Denn OBUs halten lange.

Zehn Jahre im Einsatz

In der Regel leben OBUs mindestens zehn Jahre. Sie werden nach jedem Ausbau aus einem Lkw geprüft und bei Bedarf repariert, Software-Updates bekommen sie sowieso alle halbe Jahr per Funk. Bei jedem Refurbishment wird eine Ziffer in ihrer Seriennummer jeweils um einen Zähler erhöht. Das geht 15 Mal, danach ist die sogenannte hexadezimale Zählweise an ihrem Ende angelangt, was die OBU an ihr eigenes Ende erinnert. Denn es gibt keine höhere einstellige Zahl und das Verwaltungssystem der Geräte erlaubt keine doppelten Seriennummern. Nach dem nächsten Ausbau nimmt man die OBU also aus dem Verkehr, nur ihre Bauteile leben dann weiter und wandern erst mal ins Regal für Reparaturen. Doch dieses spezielle Ende droht nur einer einzigen OBU, denn die hat bereits 13 Mal den Lkw gewechselt. Alle anderen der rund 776.000 Geräte im Einsatz sind durchschnittlich nur einmal beim Refurbishment gewesen, und selbst die ältesten OBUs von 2003 auch nur zwei Mal, weil sie zuverlässig funktionieren und lange in den Lkw bleiben. Manchmal zu lange.

Unterwegs in Uganda

Problematisch wird es beim Verkauf der Lkw, am besten nach Übersee. In solchen Fällen muss die OBU-Rückholtruppe von Toll Collect viel telefonieren und genauso viel Glück haben. Zu ihren größten OBU Urlaub 320x175Erfolgen – in Kilometern gemessen – zählt eine OBU, die in einem Paket bei einer Brandenburger Servicepartner-Werkstatt ankam. Der Absender war so exotisch, dass die Männer in der Werkstatt sie nicht entziffern konnten. Aber Briefmarke und Poststempel sagten übereinstimmend: Uganda.

Der Verkäufer des Lkw hatte tatsächlich alles in Bewegung gesetzt, um über den Händler den endgültigen Käufer zu erreichen, der die OBU dann in Uganda ausgebaut und zurückgeschickt hat. Denn sie gehört Toll Collect und wird nur verliehen. Kann ein Spediteur sie nicht zurückgeben, muss er Schadensersatz zahlen. Wer eine OBU findet und sie zurückgibt, erhält stattdessen einen Finderlohn von 15 Euro. Handel kann man damit also nicht treiben. Es ist einfach eine kleine Anerkennung dafür, sie zurück in den Kreislauf geführt zu haben.

Es kann aber auch ganz plötzlich Schluss sein, etwa wenn ein Lkw die OBU überrollt –  warum auch immer das geschieht. Doch die Mitarbeiter von Toll Collect halten ab und zu sehr platt gedrückte OBUs in den Händen. Schlecht ist natürlich auch, wenn die Elektrik des Lkw bei einem Unfall Feuer fängt. Danach kommt die OBU zwar oft genug ordnungsgemäß zu Toll Collect zurück, aber als schwarzer Klumpen. Der landet dann, ganz unabhängig von der hexadezimalen Zahl der bisherigen Leben, in der Verschrottungskiste.

Kommentare (1)

Oesterle
06.03.2014 09:00

Sehr unterhaltsam geschrieben, bitte mehr solcher Geschichten aus dem TC-Leben.